You are currently viewing Ein Plädoyer für mehr Kontrollverlust

Ein Plädoyer für mehr Kontrollverlust

Denkst du manchmal an deinen eigenen Tod? Blöde Frage, wahrscheinlich spätestens jetzt. Und was löst das in dir aus? In den meisten Menschen erzeugt der Gedanke an den eigenen Tod das Gefühl von Unsicherheit. Nicht nur das – Studien haben herausgefunden, dass wir Menschen uns fremden Ansichten gegenüber feindseliger gestimmt sind, nachdem wir an unsere eigene Sterblichkeit gedacht haben. Unser moralisches Urteil ist dann stärker an unseren eigenen Werten orientiert, weil wir versuchen, dieses Gefühl von Unsicherheit zu kompensieren, indem wir kontrolliert an das festhalten, woran wir glauben und wofür wir stehen.

Dieses Bedürfnis nach Kontrolle zieht sich auch ohne den Gedanken an unseren Tod durch unser ganzes Leben – bei manchen stärker und bei manchen schwächer. Wir versuchen dabei in erster Linie, unsere externe Umgebung unter Kontrolle zu bringen. Entweder indem wir sofort Klarheit über Entscheidungen wollen, die wir erst in Zukunft treffen müssten oder indem wir unsere Ansichten mit starker Überzeugung ausdrücken, vor allem bei unklaren Fragen wie „Wie sieht das Leben nach dem Tod aus?“. Häufig erliegen wir jedoch nur der Illusion von Kontrolle (vergleiche Sicherheitsgefühl während einer Autofahrt im Gegensatz zu einem Flug).

people-2557463_1920

Kontrolle macht uns ein Stück weit glücklicher

Es gibt gute Gründe, warum es uns guttut, zu versuchen, die Kontrolle über unser Leben zu behalten. Zum einen hilft uns das Kontrollgefühl zu glauben, wir wären selbstwirksam. Zum anderen gibt es uns die Gewissheit, wir wären nicht fremdbestimmt, demnach autonom. Selbstwirksamkeit und Autonomie sind zwei große Treiber unseres Glücksempfindens. Es gibt jedoch einen kritischen Punkt, ab dem Kontrolle unser Glück senkt, etwa wenn wir ständig Dinge besser machen wollen oder besessen sind vom Ertrag unseres Handelns.

Gründe, warum Kontrollsucht unglücklich macht

Schauen wir uns erst an, warum es uns unglücklich macht, wenn wir versuchen, andere Menschen zu kontrollieren.

Menschen neigen dazu, genau das Gegenteil von dem zu tun, was wir strikt von ihnen einfordern – erinnern wir uns nur zu gut an unsere Trotzreaktionen als Teenager zurück. Gerade, wenn uns die Beziehung zu einer Person wichtig ist, sollten wir nicht kontrollsüchtig sein. Denn am Ende wird nur eine Sache bleiben: Kontrolle oder Liebe – aber nicht beides.

binoculars-2474698_1920

Zudem schaden wir unserem eigenen Seelenfrieden damit, wenn wir versuchen, Kontrolle auszuüben und sie nicht fruchtet. Wir werden wütend und frustriert, weil wir ja explizit ein anderes Verhalten erzeugen wollten.

Schließlich treffen wir auch schlechtere Entscheidungen, wenn wir ständig von Menschen umgeben sind, die nur die eigenen Ansichten wiedergeben. Umgeben wir uns mit einer Vielzahl an Meinungen und Verhaltensweisen, gelangen wir zu besseren Entscheidungen.

Es sprechen aber auch einige Gründe dafür, die Dinge in unserem Leben nicht vehement kontrollieren zu wollen. Das Leben verläuft nun mal nicht nach dem perfekten Plan. Es ist voller Unsicherheiten und wir werden nur enttäuscht, wenn es nicht unserem Plan entsprechend verläuft. Ich musste mich z.B. zu Beginn meiner Lehrkarriere davon verabschieden, dass ich meinen Jahresplan genau so durchziehen konnte, wie ich ihn mühsam erarbeitete. Schon in der zweiten Woche wurde er durch einen Wandertag torpediert und ich muss wohl nicht erwähnen, dass diese Art von Unterbrechungen und täglichen Überraschungen sich durch das gesamte Schuljahr zogen.

concept-1868728_1920 (1)

Zurück zu unseren Gründen: Wir neigen dazu, riskantere Entscheidungen zu treffen, die unser Leben verschlechtern können, weil wir, wie zuvor bereits erwähnt, oft nur die Illusion von Kontrolle haben. Und letztlich neigen wir eher dazu, andere Dinge und auch Menschen eher für den Outcome unserer Pläne zu opfern, was schließlich auch Beziehungen zerstören kann.

Lösungsansatz

Wie wir gegen diese externe Kontrollsucht am Besten vorgehen können, werde ich in einem der nächsten Beiträge ausführlicher behandeln. Doch eine Möglichkeit möchte ich schonmal nennen: Versuchen wir doch, die Unsicherheiten in unserem Leben zu begrüßen statt uns ihretwegen bedroht zu fühlen. Denken wir z.B. daran, dass wir uns bei einem Film auch nicht spoilern lassen wollen oder wie sehr wir uns über Überraschungsgeschenke freuen. Unsicherheiten machen unser Leben aufregender. Lassen wir sie also auch mal freudig zu!

Quelle: Raghunathan, R. (2016) – If You’re So Smart, Why Aren’t You Happy? How to turn career success into life success, Vermilion, S. 115-135.

Schreibe einen Kommentar