Wir können uns alle mehr oder weniger an unsere Schulzeit erinnern: Die langen Vormittage auf den unbequemen Stühlen, die nicht enden wollenden Englischvokabeln und natürlich der lebensnotwendige Satz des Pythagoras.
Wenn ich so zurückblicke, verschwimmt die Zeit im Klassenzimmer vor meinen Augen zu einer einheitlichen breiigen Masse und übrig bleiben Erinnerungsfetzen von lustigen Momenten, in denen ich nicht aufhören konnte, über einen Witz meiner Sitznachbarin zu lachen und unangenehmen Situationen, in denen ich aufgerufen wurde, obwohl ich die Antwort auf die Frage der Lehrkraft nicht kannte.
Und dann sind da noch die Momente außerhalb des Klassenzimmers. Die jährlichen Schulfeste, einprägenden Pausenerlebnisse und ungewöhnlichen Unterrichtsmethoden.
Mein Physiklehrer zum Beispiel brachte uns das Gesetz der Fallbeschleunigung mithilfe einer langen Schnur bei, an die wir in vorher berechneten Abständen kleine Steine festbinden sollten. In unserer Aula haben wir diese Steinschnur vom obersten Stockwerk aus herunterfallen lassen, sodass die Steine in immer gleichschnellem Abstand auf dem Boden aufkamen.
Ich bin inzwischen 31 und eine absolute Niete in Physik, aber ich kann mich noch genau an diese Szene erinnern, weil ich die physikalische Regel nicht in einem Buch lesen oder von der Tafel abschreiben musste, sondern, weil ich sie erlebt habe.
Im Biounterricht hat uns in der 5. Klasse das Ökomobil besucht. Wir haben einen gesamten Schultag am Bach neben der Schule verbracht, den wir sonst im Alltag nicht eine Sekunde beachtet haben. Das Mobil war mit verschiedenem Forschungsequipment wie mobilen Mikroskopen ausgestattet. Im Grunde hatte es alles, was unser Bioraum in der Schule auch hatte, aber der Unterricht fand draußen statt, ich stand barfuß im Bach und habe Mikroorganismen gefischt. Diese Szene ist in meinem Gedächtnis geblieben. Ich habe keine Ahnung, ob wir das im Klassenzimmer danach inhaltlich aufgearbeitet haben.
Auch wenn das nur ein kleiner Ausschnitt aus meiner Schulzeit war, können wahrscheinlich einige nachempfinden, was ich damit ausdrücken möchte.
Heute sitze ich immer noch im Klassenzimmer, aber mittlerweile auf der anderen Seite des Raums. Inspiriert von den engagierten Lehrer*innen aus meiner Kindheit und Jugend möchte ich ebenfalls Erinnerungen schaffen, die Wissen und Freude miteinander verbinden.
Das bedeutet für mich, den Unterricht nicht nur auf das Klassenzimmer zu reduzieren. Auch wenn nicht jede Schule an einen Bach grenzt, braucht es lediglich ein wenig Kreativität, um das Lernen zu einem erinnerungswürdigen Erlebnis zu machen.
In meinen 5ten Klassen fing ich daher an, den Biounterricht passend zum Thema nach draußen zu verlagern. An unserer Schule haben wir einen Grünstreifen auf dem Schulhof, der als Schulgarten fungierte. Dieser lud dazu ein, im Herbst wirbellose Tiere zu suchen, zu beobachten und zu bestimmen. Im Frühling konnten wir das Blühen der Pflanzen miterleben und feststellen, was auf unserem Gelände wächst.
Unser Ganztagesbetreuer, der sich gleichzeitig um den Garten kümmerte, bemerkte unser Treiben im Garten und nahm das zum Anlass, mich einige Unterrichtsstunden darin zu unterstützen.
Aus diesen Stunden wurde Stück für Stück ein Konzept und aus dem Konzept ein neues Schulprofil, das Gartenprofil. Im darauffolgenden Schuljahr übernahm ich als Klassenlehrerin die neue 5b, die sich künftig Gartenklasse nennen durfte. Ich war freudig und aufgeregt über diese neue Herausforderung, da wir nicht mit einem komplett fertigen Modell in die Praxis eingestiegen sind, sondern uns mit wachsender Erfahrung entwickeln wollten.
Inzwischen sind knapp zwei Jahre vergangen, die 5b wird in ein paar Monaten zur 7b. Corona hat unsere Entwicklung leider stark gebremst, dennoch nutzten wir jede Gelegenheit in Präsenz und auch digital, um den Kindern ein praxisnahes, spaßiges Lernen zu ermöglichen. Wie sagt man so schön? Wie man sich fühlt, so lernt man.
